Sozialisierung
Unter Sozialisierung verstehen wir die Bildung des Charakters, die Adaptionsfähigkeit an neue Situationen und die Habituation an unsere Umwelt. Und wir verstehen unsere Umwelt als ein komplexes Konstrukt mit vielen verschiedenen Lebewesen, zwei-, vier- und mehrbeinigen, gesunden und kranken, jungen und alten usw. welche in verschiedenen Lebensräumen leben, so zum Beispiel auf dem Land mit Kuh-, Schaf- und anderen Herden und Traktoren- und Heugebläselärm oder in der Stadt mit viel Teer und Beton, vielen Autos, Baumaschinen, Eisenbahn, Bus, Einkaufszentren und vielem mehr.

Um diese Ziele möglichst gut zu erreichen, orientieren wir uns einerseits an dem, was uns wildlebende Hundeartige, nämlich Wölfe, zeigen, weiter an Erkenntnissen der Wissenschaft und Forschung und dann natürlich an unserer Erfahrung: immer wieder sehen wir Hunde aus unserer Zucht und dies führt uns klar vor Augen, was wir jeweils erreicht haben. Zu erreichen haben wir zweierlei: Eine möglichst gute Aufzucht und Sozialisation und die richtige Selektion der neuen Hundebesitzer.

Bei den Wölfen sehen wir, dass die Welpen den Bau mit ungefähr 4 Wochen zum ersten Mal verlassen, dann aber noch einige Wochen in der näheren Umgebung verbringen und dass sie auch alleine in der sicheren Zone gelassen werden, wenn die übrige Familie zur Jagd aufbricht. Das wichtigste, was wir von den Wölfen lernen aber ist, wie viel Wert auf die soziale Erziehung und Kommunikation gelegt wird. Das zeigt sich daran, wie viel Zeit die Wolfseltern und übrigen Familienmitglieder damit verbringen, den Welpen die auf höchstem Niveau nuancierte Kommunikation, die hoch differenzierte Mimik, Gestik und Lautäusserungen beizubringen, welche für ein konfliktarmes Zusammenleben Voraussetzung sind. Normalerweise können wildlebende Wölfe nur im Verband überleben und der Verband hat nur Bestand durch eine hohe soziale Kompetenz der einzelnen Tiere. Wölfe sind echte Familientiere!

Dann wissen wir einiges aus verschiedenen Gebieten der Wissenschaft, was uns hilft, gewisse Vorgänge zu verstehen und richtig zu nutzen. Da sind einmal die verschiedenen Entwicklungsphasen nach der Geburt, welche uns lehren, wann was abläuft. Es würde diesen Rahmen sprengen, diese Phasen genau zu detaillieren. Aber einige zentrale Aussagen sind wichtig: Riechen, Wärme und Schwingungen spüren können die Welpen von Anfang an. Ungefähr ab der dritten Woche können sie hören und sehen und ab dann beginnt auch die aktive Interaktion mit der Umwelt und anderen Individuen. Diese Phase, die sogenannte Prägungsphase und die nachfolgende, die Sozialisierungsphase, welche etwa bis zur sechzehnten Woche geht, ist für uns insofern von grosser Bedeutung als dass wir wissen, dass in diesen beiden Phasen die Welt (die materielle, mechanische und die soziale) sozusagen verinnerlicht wird. Was Hänschen in dieser Zeit nicht lernt, wird Hans nicht unbedingt nimmermehr, aber doch nur noch sehr schwer lernen.

Dann ist da noch die Entwicklung des vegetativen Nervensystems. Dieses besteht im Prinzip aus zwei Systemen, dem Sympathikus und dem Parasympathikus, welche einander entgegenwirken: Der Sympathikus steht für Aktivität, er aktiviert Körperfunktionen, macht bereit für Kampf oder Flucht, erhöht den Adrenalinausstoss, beeinflusst Herzfrequenz, Blutdruck und vieles mehr. Der Parasympathikus wirkt dem entgegen, er steht für Ruhe, Ausgeglichenheit, Entspannung. Nebenbei: Steven Lindsay schreibt dazu, dass Hunde eine genetische Prädisposition zu gefühlsbetonter Reaktivität oder zum ruhigen, kognitiven Persönlichkeitstyp haben können. Er beschreibt, wie sie sympathisch dominant (anfällig für gefühlsbetonte Reaktivität und biologischen Stress) oder parasympathisch dominant (ruhiger und anpassungsfähiger) sein können. Was für uns wichtig ist: Die ersten fünf Lebenswochen gehören dem Parasympathikus, der Sympathikus nimmt erst dann seine Arbeit auf. Das heisst, dass alles, was die Welpen in den ersten fünf Wochen aufnehmen, also alle visuellen, olfaktorischen und akustischen Reize, völlig entspannt und ruhig verinnerlicht werden und sozusagen in den Topf von „normal“ und „glücklich machend“ geworfen werden.

Und dann kommt noch die Beobachtung des Neugier- und Angstverhaltens: Auch etwa bis zur fünften Woche, vielleicht ein bis zwei Wochen länger, sind die kleinen Zwerge von Neugier getrieben, Angst kennen sie praktisch noch nicht, die schleicht sich erst ungefähr ab dann ein. Diese Beobachtung ist sehr hilfreich, wissen wir doch, dass es nie einfacher als in diesen ersten Wochen ist, die Welpen an Neues heranzuführen. All dieses Wissen gibt den Weg vor, den wir mit unseren Welpen die ersten Wochen gehen.

Dies ist unsere Vorstellung von Welpensozialisierung, soweit sie rasseunabhängig ist. Im Prinzip durchlaufen unsere beiden Rassen die gleiche Sozialisierung. Allerdings liegen die Schwerpunkte leicht anders, bedingt durch die unterschiedlichen Wesen dieser beiden Rassen. Dadurch, dass der Lebensmittelpunkt der Welpen in den ersten Wochen nicht der gleiche ist, ist auch der Ablauf der Sozialisierung unterschiedlich. Genauere Auskunft erhalten Sie im Kapitel "Sozialisierung" unter der entsprechenden Rasse.

Am Ende der Welpenzeit kommt dann für uns der Abschied, der oft auch mal eine Träne fliessen lässt, für unsere Welpen aber beginnt die Zukunft, das Leben mit IHREN Menschen. Und wieder muss viel gelernt werden: Was haben diese Menschen für Gerüche, Geräusche, Rituale, wie ist der Tagesablauf strukturiert. Alles ist neu. Aber wir sind überzeugt, dass wir ihnen in diesen ersten Wochen einen Rucksack füllen konnten, mit dem sie mit offenen Augen, innerer Sicherheit und voller Selbstvertrauen diese neue Welt erkunden können.