Geschichte
Oft hört man, der Grosse Schweizer Sennenhund sei eine uralte Rasse. Lassen wir Prof. Albert Heim sprechen; ohne ihn gäbe es diese Rasse
heute wahrscheinlich nicht. 1914 schrieb er: „Im Anfang des letzten Jahrhunderts gab es in der Schweiz überhaupt ausser etwa einzelnen
Bastarden kaum andere grosse Hunde, als die Grossen Schweizer Sennenhunde – freilich hatten sie noch keinen offiziellen Namen“ und weiter:
„W. Tschudi hält sie, wohl mit Recht, für die ältesten der Sennenhunde, aus denen in verschiedenen Gebieten die kleineren abgeleitet worden
seien“. Weiter: „Man kam nicht auf die Idee, dass gerade der Umstand, dass er sehr ähnlich überall vorhanden war, seine durchgebildete,
alte Rassigkeit bewies…“ und weiter: „und diese durch Jahrhunderte befestigte Rassigkeit war auch vorhanden in seiner Ausdauer und
Gebrauchstüchtigkeit als Hüter und Treiber der Herden und als Zughund“.
Diese und andere Aussagen haben wohl dazu beigetragen, dass der „Grosse“ als uralte Rasse gilt. Was ist denn eine Rasse? Der Zoologe Wolf Herre: „Rassen sind vom Menschen in sexueller Isolation gehaltene, verbreitete Untereinheiten einer Art, welche sich in mehreren Merkmalen und Erbeinheiten stärker voneinander unterscheiden. Es sind Kollektiveinheiten, deren Besonderheiten nur durch statistische Methoden wiedergegeben werden können. Dem subjektiven Ermessen bei der Umgrenzung und Merkmalsauswahl ist ein weites Feld gelassen“. Um sich eine Meinung über die „Grossen“ als „uralte Rasse“ zu bilden, muss man sich die Geschichte der Hunde in der Schweiz vor Augen führen: Ausgrabungen belegen, dass seit rund 6000 Jahren Hunde auf dem heutigen Schweizer Boden leben. Damals begann die Zeit, in welcher die Nomaden langsam sesshaft wurden. Neben der Jagd betrieben sie jetzt auch Ackerbau und züchteten Schafe und Ziegen, Schweine und Rinder Sie lebten in Pfahlbauten am Wasser, weil das die einzigen möglichen Verkehrswege waren. Die Funde zeigen uns, dass die Anzahl gehaltener Hunde verglichen mit dem übrigen Nutzvieh relativ hoch war. Sie zeigen uns auch, dass die Hunde als lebende Nahrungsreserve dienten. Die Spuren der Funde deuten klar darauf hin, dass in aller Regel alte Tiere gegessen wurden was wiederum zeigt, dass sie nicht NUR zu Nahrungszwecken gehalten wurden. Für was sie sonst noch eingesetzt wurden, ist unbekannt, aber es ist davon auszugehen, dass sie Aufgaben hatten, konnten sich doch unsere Vorfahren zu jener Zeit keine unnützen Kostgänger leisten. Viel später dann, in der Eisenzeit (800 – 400 v. Chr.), begannen die Menschen, ihre Pfahlbauten zu verlassen und auch das Landesinnere zu besiedeln. Dies war möglich, da mit dem Pferd auch andere Verkehrswege genutzt werden konnten. Jagd und Fischfang verloren stark an Bedeutung und es wurden hauptsächlich Rinder, Schafe und Schweine, welche zu den wichtigsten Fleischlieferanten wurden, gezüchtet. Die Jagd war dem Adel vorbehalten. Laut verschiedenen Berichten soll die anschliessende Römerzeit wichtig für die Entstehung der Schweizer Sennenhunde gewesen sein, sollen sie doch von den römischen Molossern abstammen, welche von den Römern mit ihren Viehherden in die Schweiz gebracht wurden. Hans Räber meint dazu: „Diese Meinung hält einer kritischen Betrachtung nicht stand“ und weiter „gegen eine direkte Abstammung der Sennenhunde von römischen Hunden spricht die Tatsache, dass sich die Bauernhunde, aus denen Ende des 19. Jahrhunderts die Schweizer Sennenhunde heraus gezüchtet wurden, aus Gegenden kommen, die fernab der grossen römischen Durchgangsstrassen in Helvetien liegen“. Weiter ist zu sagen, dass es keine Knochenfunde von den angeblich so riesigen Molossern gibt. Knochenfunde aus dem anschliessenden Mittelalter belegen, dass sich die Hunde der Alamannen, die ab 260 n. Chr. in Helvetien eindrangen, nicht wirklich von den Einheimischen unterschieden. Die Alamannen hatten die gleichen Anforderungen und auch für sie zählte nur die Leistung. Die Bauernhunde waren bis ins 19. Jahrhundert leistungsfähige „Mehrzweckhunde“, ein grosser, heterogener Pool. So konnte ein einzelner Wurf unter Umständen viele verschiedenen Interessen befriedigen: diejenigen Tiere, welche Jagdambitionen zeigten, fanden als Jagdhunde, die leichten und wendigen als „Triiberli“ (Treibhunde) und die grossen, stämmigen als Hof-, Zug- und Metzgerhunde Verwendung. Die Anforderungen an die Gebrauchseigenschaften waren nicht klar abgegrenzt: Wer tagsüber das Vieh zusammenhielt, musste nachts auch den Hof und die Ställe bewachen und umgekehrt musste auch der Hofhund in der Lage sein, das Vieh zum Melkplatz zu treiben. Eine sicher wichtige Anforderung war, dass sie gut zu allen Haus- und Nutztieren sein mussten („lammfromm“), waren sie doch mindestens nachts nicht an der Kette, weil sie sonst ihrer Bewachungsaufgabe nicht gerecht werden konnten. Und – sie mussten alle sehr genügsam sein. Wer nichts taugte, landete im Kochtopf. Einzig der Adel konnte auf seinen Burgen gezielt (auf Jagd) züchten, da Bauernhunde-Rüden keinen Zugang zu den Burg-Hündinnen hatten. Umgekehrt ist nicht auszuschliessen, dass Bauern-Hündinnen von Burg-Rüden gedeckt wurden. Hans Räber: „Der Bauernhund blieb das grosse Reservoir, aus dem immer wieder, je nach Bedarf, ohne grosse züchterische Kenntnisse, rein unter dem Geschichtspunkt des Gebrauchszweckes, verschiedene „Rassen“ entstehen konnten.“ Wie streng die Zuchtauslese war, lesen wir im „Zentralblatt für Jagd- und Hundeliebhaber“ 1913: „Der Bauer, Viehhändler, Metzger züchtete nur mit kerngesundem Material; was nicht den ganzen Tag bei jeder Witterung, schaffen, rennen, treiben, bellen und nachts auch noch busper und wachbar sein konnte, wurde in Hundefett umkastriert oder tot geschlagen“. Dies alles zeigt, dass über Jahrhunderte eine knallharte Leistungszucht betrieben wurde. Möglicherweise wurden manchmal auch bewusst sehr leistungsfähige Tiere miteinander verpaart. Aber sicher nahm niemand eine lange Reise für eine Verpaarung auf sich. Das heisst, dass die einzelnen Hundeschläge in den verschiedenen Regionen durch relativ starke Inzucht recht homogen in Wesen und Körperbau wurden. Diesen Typ Hund gab es selbstverständlich nicht nur hier, er war in halb Europa verbreitet. Unter gleichen Lebensbedingungen, gleichen klimatischen Verhältnissen und gleichen Anforderungen durch den Mensch konnten sich nur bestimmte Hundetypen durchsetzen und zwar unabhängig davon, wie weit sie geographisch auseinanderlagen (in der Biologie wird das Konvergenz genannt). Rottweiler und Broholmer sind nur zwei Beispiele dafür. Die grossen unter ihnen, die sogenannten Metzgerhunde, halfen dem Metzger, das Vieh zum Schlachthof zu treiben und beschützten ihn, wenn er mit prall gefülltem Geldbeutel den Heimweg antrat. Sie waren auch die Karrenhunde der Marktfahrer und Hausierer und eben die Hofhunde der Bauern. In die gleiche Gruppe gehört der St. Bernhardshund. Unter diesem Blickwinkel müssen wir die Entwicklung der Hunde sehen. Wie wir Schweizer als Bewohner eines typischen Durchgangslandes auch das Produkt von verschiedenen Völkern sind, sind es auch unsere Bauernhunde. Die Landbevölkerung war über Jahrhunderte arm, so zählten einzig und allein die Gebrauchseigenschaften, das Aussehen war sicher ziemlich unwichtig. In der beschriebenen Zeitspanne haben sich die Anforderungen an die Hunde und entsprechend auch die Hunde selber laufend gewandelt. Als die Beute aus der Jagd auf Fisch und Wild noch die hauptsächlichen Nahrungslieferanten waren, wurden sicher Hunde mit Jagdeigenschaften und Wasserhunde gebraucht. Diejenigen, welche mit der Zucht von Rindern, Schafen und Schweinen begannen, wollten sicher Hunde, welche NICHT jagten, zumindest nicht das eigene Vieh. Dafür aber mussten sie das Vieh beschützen, es zusammenhalten und vielleicht auch treiben. Wer viel Vieh in der Alpenregion zu hirten hatte, wollte eher wendige Hunde, wogegen auf Höfen eher die grösseren und schwereren bevorzugt wurden. Somit sehen wir: Man konnte damals ganz sicher nicht von Rassehunden, von „in sexueller Isolation“ gehaltenen Tieren sprechen. Der vorhandene Pool aller Hunde war sicher sehr heterogen und verkörperte viele Eigenschaften und eine grosse Ahnenvielfalt. Gerade diese Entwicklung ist vielleicht die Stärke unserer Sennenhunde. Wenn auf einer schmalen Basis eine Rasse herausgezüchtet wird, bedeutet dies einen „Vielfältigkeitsverlust“, was oft einhergeht mit Krankheiten und Verlust an Widerstandsfähigkeit. Die „uralte“ Rasse der Grossen Schweizer Sennenhunde gibt es wahrscheinlich nicht, er ist aus der uralten Gruppe der Bauernhunde herausgezüchtet worden. 1908 wurde dann das Geburtsjahr des Grossen Schweizer Sennenhundes: Franz Schertenleib führte an einer Ausstellung in Langenthal einen Hund vor, den er kurz zuvor gesehen und der Kuriosität halber gleich gekauft hatte. Einen stockhaarigen Berner Sennenhund. Der Richter war Prof. Albert Heim. Er sagte zu Schertenleib: „Der Hund gehört in eine andere, nicht vorgesehene Klasse, er ist zu herrlich und rassig, um ihn unter den Bernern als ungehörig einfach wegzuschieben. Er ist ein Exemplar der fast ausgestorbenen, ehemaligen Metzgerhunde, der Grossen Schweizer Sennenhunde, und unter dieser Bezeichnung gebe ich ihm mit Freuden und Überzeugung den ersten Preis“. Und hat damit eine neue Rasse aus der Taufe gehoben. Am 21. Januar 1912 wurde der „Klub für grosse Schweizer Sennenhunde“ gegründet. Der Start war mühsam, es wurden pro Jahr nur wenige Hunde ins SHSB (Schweizerisches Hundestammbuch) eingetragen. Der erste Weltkrieg war katastrophal, wurden doch aus Lebensmittelknappheit diverse Hunde getötet. Während der Maul- und Klauenseuche 1918/1919 mussten etliche Hunde der Bauern ihr Leben lassen, um einer Verschleppung der Seuche vorzubeugen. Ab 1923 ging es wieder aufwärts, die Zahl der eingetragenen Hunde stieg an. Der Grosse Schweizer Sennenhund wurde als Diensthund in die Armee aufgenommen, was sicher dazu beitrug, dass die Zucht dieser Rasse während dem 2. Weltkrieg nicht zusammenbrach. Nach einem Höhepunkt der Eintragungen in den Nachkriegsjahren (z.B. 1948: 144) sinken sie ab 1950 wieder, es gibt ein auf und ab. Eine Erholung ist erst wieder ab 1980 zu verzeichnen. Zurzeit liegt die Zahl der eingetragenen Hunde im Mittel bei etwa 100 Tieren pro Jahr. Nimmt man auch noch die Zahlen aus den Nachbarländern dazu kann man sagen, dass die Rasse heute nicht in Gefahr ist. Um aber die genetische Vielfalt und damit die geistige und körperliche Gesundheit und Vitalität zu erhalten ist es, wie bereits erwähnt, wichtig, dass die Zucht nicht nur auf wenigen Tieren beruht. Dies möchten wir als Aufruf an alle Besitzer von gesunden und tollen Rüden verstehen, ihre Tiere anzukören (der Zuchttauglichkeitsprüfung zu unterziehen) und sie einmal decken zu lassen. Viel von dem hier präsentierten Wissen verdanken wir den detaillierten Recherchen von Dr. Hans Räber, einem der wohl bedeutendsten Schweizer Kynologen unserer Zeit. Interessierten sei die Literatur seines Buches „Die Schweizer Hunderassen“, erschienen im SKG Verlag, wärmstens empfohlen (ISBN 978-3-033-01523-4) |
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